Der Kennedy-Bunker auf Peanut Island

Kennedy-Bunker - das klingt nach Regierungsbunker oder Präsidenten-Schutzraum, nach einem großen Ausweichsitz, von dem aus Präsident John F. Kennedy im Kriegsfall die Vereinigten Staaten von Amerika regiert hätte. Unwillkürlich denkt man an die deutsche Dienststelle Marienthal an der Ahr, an das Objekt 17/5001 des Nationalen Verteidigungsrates der DDR unter Erich Honecker oder, näher liegend, an den Senats- und Kongress-Bunker unter dem Greenbrier Resort in West Virginia. Doch weit gefehlt: Die bisher bekannten, so genannten Kennedy-Bunker sind kleine, einfache Schutzbauten, wie sie rudimentärer kaum sein könnten.

Die nukleare Bedrohung

Nach dem Zweiten Weltkrieg waren Langstreckenbomber für die Atommächte USA und Sowjetunion zunächst der beste und letztlich auch einzige Weg, im Kriegsfall strategische Atomwaffen zum Ziel zu bringen. Flugzeuge sind für den Gegner schon recht früh auf dem Radarschirm erkennbar und die Vorwarnzeit entsprechend lang. Die Vereinigten Staaten von Amerika hatten mit ihrem Raketenprogramm damals einen gewissen Vorsprung, nicht zuletzt durch die Arbeit der NASA. Gleichzeitig mit der Entwicklung im Waffensektor fand natürlich auch Forschung im Bereich entsprechender Schutztechnologien statt - man wollte einem möglichen Atomschlag ja nicht ungeschützt ausgesetzt sein.

Bereits Mitte der fünfziger Jahre befassten sich das Air Force Special Weapons Project (AFSWP), die amerikanische Zivilschutzbehörde (Federal Civil Defense Administration) und die Atomic Energy Commission der USA mit der Frage nach dem baulichen Schutz vor nuklearen Waffen. Hierzu wurde 1955 im Rahmen der „OPERATION TEAPOT“ auf dem Versuchsgelände der Nevada Test Site eine größere Zahl baulich unterschiedlicher Klein- und Gruppen-Schutzräume mit bis zu fünfzig Schutzplätzen auf ihr Verhalten bei einer nuklearen Detonation getestet. Schon ein Jahr später begannen die Planungen zur „OPERATION PLUMBOB“, bei der zwischen März und Oktober 1957 wiederum viele unterschiedliche Schutzraum-Bauformen in der Wüste errichtet und Atomexplosionen ausgesetzt wurden. Diesmal reichte das Spektrum von kleinen Schutzräumen über Entwürfe aus unterschiedlichen Ländern (darunter auch Deutschland) bis hin zum Großschutzraum in Form einer Tiefgaragen-Mehrzweckanlage. Die Erkenntnisse aus diesen Versuchen führten zu den baulichen Standards und Richtlinien, nach denen bis zum Ende des Kalten Krieges und darüber hinaus Schutzräume errichtet wurden.

Spätestens mit dem gelungenen Start des sowjetischen Satelliten „Sputnik“ am 4. Oktober 1957 - drei Tage vor Beendigung der „OPERATION PLUMBBOB“ - wurde klar, dass der Kalte Krieg in eine neue Phase treten würde - die der Bedrohung durch Interkontinentalraketen auf beiden Seiten. Mit Reichweiten von bis zu 12.000 Kilometer änderten sie die Situation von einer Sekunde auf die andere, das Territorium der USA war auf einmal potentiell erreichbar für die gegnerischen Waffen.

Kennedy und der Zivilschutz

In dieser Situation trat John F. Kennedy im Januar 1961 das Amt des amerikanischen Präsidenten an und entwickelte mit seinem Verteidigungsminister Robert S. McNamara eine neue Strategie für sein Land. In der Botschaft des Präsidenten an den Kongress machte er diese neuen Grundsätze schon Ende März 1961 deutlich. Grundgedanke war die „flexible response“ statt eines zwingenden Einsatzes des gesamten nuklearen Potentials als Reaktion auf einen Angriff des Gegners. Eine flexible Reaktion auf Aktionen und Angriffe der Gegenseite sollte ein „Aufschaukeln der Atomsprirale“ verhindern. Ein Ende der Aufrüstung bedeutete dies natürlich nicht, beide Seiten rüsteten weiter, die Gefahr eines Atomkriegs blieb.

Schutzraum-Werbung der Kennedy-ÄraTeil dieser neuen Strategie sollte nach der Vorstellung der Kennedy-Administration der Bau von Schutzräumen für die gesamte amerikanische Bevölkerung sein. Am 25. Mai 1961 hielt der Präsident vor dem Kongress eine Rede zu wichtigen Themen der nationalen Sicherheit, ein Teilbereich davon befasste sich mit Schutzbauten für die Bevölkerung. Kennedy sah den Bau von Schutzräumen nicht als Teil der Politik der Abschreckung, sondern als eine Art Versicherung - ohne Garantie, aber trotzdem unverzichtbar. Sein landesweites, langfristig angelegtes Programm sollte vorhandene Schutzräume katalogisieren und neue Schutzräume in bestehenden Gebäuden und Neubauten schaffen. Darüber hinaus plante er ein Rahmenkonzept des Zivilschutzes, bestehend aus einem Warnsystem, Ausbildungsmaßnahmen und anderen, wichtigen Eckpfeilern. Die Kosten für das Programm sollten bei rund siebenhundert Millionen US-Dollar liegen. Mit der Order Nummer 10952 vom 20. Juli 1961 übertrug Kennedy die Gesamtverantwortung für das Konzept auf das Verteidigungsministerium und beauftragte dieses mit der Durchführung.

Am 13. August 1961 begann die DDR mit dem Bau der Berliner Mauer und erzeugte damit auch mehr Angst vor einer Eskalation des Kalten Krieges. Ein Großteil der amerikanischen Bevölkerung befürchtete den Ausbruch einer nuklearen Auseinandersetzung, des Dritten Weltkriegs, im Laufe der kommenden fünf Jahre. Diese Gefahr betraf natürlich auch die Regierung und den Präsidenten selbst. Seit Roosevelts Zeiten soll es im Weißen Haus einen Schutzraum geben, der mit Sicherheit immer auf dem neusten technischen Stand gehalten wurde und wird. Kennedy allerdings verbrachte seine Zeit gerne und entsprechend häufig anderswo: Auf dem Anwesen der Kennedys in Cape Cod, Massachusetts, im Haus der Schwiegereltern in Newport im Bundesstaat Illinois, in Middleburg in Virginia und vor allem im väterlichen Haus in Palm Beach im warmen und sonnigen Florida. Die Pläne des Secret Service sahen vor, den Präsidenten und seine Familie im Falle eines feindlichen Angriffs per Helikopter zu evakuieren, wahrscheinlich zur Bunkeranlage Mount Weather/Camp David in den Appalachen. Bei den kurzen Vorwarnzeiten für Interkontinentalraketen wäre das besonders nachts oder bei schlechtem Wetter an den Wochenendsitzen Kennedys kaum noch möglich gewesen. Als Lösung boten sich einfach Schutzräume in der Nähe der Aufenthaltsorte des Präsidenten an, die wahrscheinlich aus Gründen der besseren Geheimhaltung vorzugsweise auf vorhandenen militärischen Stützpunkten liegen sollten. In der Presse erschien im Herbst 1961 dazu der folgende Artikel:

„Wie CBS News erfuhr, gibt es Pläne, für Präsident Kennedy in der Nähe seines Sommersitzes Hyannis Port einen Schutzraum (fallout shelter) zu bauen. Die Bauarbeiten werden von den Army Engineers durchgeführt und sollen in Kürze beginnen. Der Präsident hatte versucht, seinem Zivilschutz-Programm eine gewisse Dringlichkeit zu geben. Nach seiner landesweiten Radio- und Fernsehansprache gab es einen wahren Sturm von Anfragen. Zu Beginn des Jahres erhielt die Zivilschutzbehörde noch etwa 4.000 Briefe pro Monat, jetzt sind es beinahe doppelt so viele pro Tag. Der Kongress reagierte auf die Pläne des Präsidenten und genehmigte weitere Mittel. In diesem Jahr werden etwa 300 Millionen Dollar für den Zivilschutz ausgegeben. Edward McDemott, Direktor der Zivilschutzbehörde, beklagte die eher ablehnende Haltung der Bevölkerung gegenüber Schutzräumen und äußerte, dass es ein gutes Mittel dagegen sei, wenn Amtsträger mit gutem Beispiel voran gingen und einen Schutzraum bauten, so wie Kennedy es nun tun würde.“

Der „Kennedy-Bunker“ auf Peanut Island

Vor großen Teilen der Ostküste Floridas läuft eine Nehrung. Im Bereich von Palm Beach und Virginia Beach im Süden Floridas trägt das ruhige Gewässer zwischen Festland und Nehrung den Namen „Lake Worth“ und in diesem liegt Peanut Island. Die kleine Insel entstand im Zeitraum von 1918 bis 1925 als Abraumhalde bei der Neuanlage des Hafens, ist also eine künstliche Insel. 1935 pachtete die US Coast Guard einen kleinen Bereich der 16,5 Hektar großen Insel und errichtete dort eine Küstenwach-Station (USCG Station Lake Worth Inlet).

US Coast Guard Station auf Peanut Island - der Bunker befindet sich im Bewuchs links hinten

Im Dezember 1961 wurden Angehörige eines US Navy Bau-/Pionier-Bataillons (Construction Batallion, CB oder „Seabees“) als „Detachment Hotel“ nach Peanut Island beordert, notwendig war hierfür eine Freigabe „Geheim“ (clearance „secret“). Offiziell wurde hier ein Munitionslager errichtet, die Ausführung des Bauwerks mit Filteranlage, Dekontaminationsdusche und Notausstieg lässt aber keinen Zweifel daran, dass es sich um einen Personen-Schutzraum handelt. Nach Zeitzeugen-Aussagen soll es sich hier um einen Schutzraum für Kennedy gehandelt haben. Beweise dafür, dass Kennedy diese Schutzräume kannte oder gar einmal dort war, gibt es bisher allerdings nicht. Dave Powers, Kennedys damaliger persönlicher Assistent und heutiger Kurator der John F. Kennedy Library in Boston, hat von dem Bauwerk noch nie etwas gehört. Die Nutzung als temporärer Kurzzeit-Schutzraum für den Präsidenten erscheint trotzdem nicht ausgeschlossen, da das Haus der Kennedy-Familie nur wenige Bootsminuten entfernt liegt ungefähr gleichzeitig auf dem Gelände der Tom Nevers Naval Facility unweit Hyannis Port ein baugleiches Objekt entstand.

Der „Bunker“ - so weit er diesen Namen verdient - liegt etwas abseits in einem Hügel auf dem hinteren Teil des Geländes unter etwa drei Meter Überdeckung mit Sand. Eine einfache Drucktür in einer runden Wand führt in den Zugangstunnel, flankiert von zwei manuellen Druckverschlüssen. Von außen wirkt die Konstruktion ein wenig wie aus einem Science-Fiction-Film der sechziger Jahre. In den Jahren der Kennedy-Präsidentschaft soll der Eingangsbereich gesondert eingezäunt und bewacht gewesen sein. Der im Querschnitt kreisrunde, 15m lange Zugangstunnel führt T-förmig auf eine weitere, gleich starke Röhre, in der rechts Anschlusskasten und Generator stehen, links geht es weiter zu einer kleinen Kammer mit zentralem Ablauf im Fußboden, wahrscheinlich war dies einmal die Dekontamination. Ein echter Schleusenbereich im Sinne einer Druckschleuse fehlt. In einem Nebenraum befindet sich eine einfache Filteranlage. Der Hauptraum besteht aus einem Tonnengewölbe, das einmal in mehrere Räume unterteilt war. Hier soll es Fernmelde-, Arbeits- und Schlafplätze für insgesamt etwa 25 Personen gegeben haben. Heute ist nur noch die ehemalige Toilette abgeteilt, Einrichtung und Innenwände sind verschwunden, nachdem das Bauwerk 1964 aufgegeben, von mehreren Überschwemmungen und seit Verlegung der Küstenwachstation 1995 auch von Vandalen heimgesucht wurde. Eine weitere Röhre führt nach wenigen Metern zu einer kleineren, senkrechten Röhre - dem Notausstieg. Ungewohntes Detail: Das Bauwerk besteht ganz und gar aus Stahlplatten und -röhren, die zum Teil verschweißt, zum Teil verschraubt wurden. Beton wurde hier nur für Fundament und Fußboden verwendet. Schutzbauten dieser Art wurden auch im Rahmen der bereits erwähnten „Operation Plumbbob“ erprobt. Bis auf wenige Details identisch ist ein Schutzraum für 100 Personen, der vom Bureau of Yards and Docks als Typbau für küstennahe Militäreinrichtungen entworfen und in Bethesda im US-Bundesstaat Maryland im Jahr 1965 für einen Belegungsversuch verwendet wurde.

In Atomversuchen getestet: Schutzraum-Entwurf der US Navy ähnlich dem hier vorgestellten Schutzraum auf Peanut Island

Seit einigen Jahren kümmert sich das Palm Beach Maritime Museum um die ehemalige Küstenwach-Station und den Bunker. Das Museum hat das Gebäude instand gesetzt und einige Einrichtungsgegenstände in dem vormals leeren Raum aufgestellt. In Ermangelung von Originalen oder auch nur Fotos des damaligen Zustands wurde der Phantasie doch recht freier Lauf gelassen, so findet sich heute auf einem Schreibtisch ein rotes Telefon und der Fußboden trägt ein riesiges, aufgemaltes Siegel des Präsidenten. Aus Sicherheitsgründen musste für Besucher ein normal begehbarer Notausgang geschaffen werden. Hierzu wurde schlicht ein Teil der Sandüberdeckung entfernt und am hinteren Ende des Hauptgebäudeteils eine simple Holztür eingebaut. Nach Angaben des Museums wurde hierbei festgestellt, dass die stählerne Haut des Bauwerks mit einer dünnen Bleischicht belegt ist. Dies erscheint zwar nicht unmöglich, aber doch eher unwahrscheinlich, möglicherweise liegt hier einfach eine Verwechslung mit der Verzinkung vor.

Drucktür zum Zugangstunnel Manueller Druckverschluss von der Innenseite gesehenBlick in den ZugangstunnelBlick durch den Zugangstunnel Richtung TürGeneratorenanlage im QuertunnelDie einfach gehaltene FilteranlageBlick in den großen HauptraumBlick in den großen HauptraumBlick in den großen HauptraumBlick in den großen HauptraumEine von drei Trocken-ToilettenDer freigelegte Notausstieg. Rechts die nachträglich eingebaute Tür.

Ob dieses Bauwerk nun tatsächlich für Kennedy vorgesehen war oder es sich hier schlicht um ein Gerücht handelt, bleibt offen. Echte Primärquellen fehlen, Nationalarchiv und Navy haben keinerlei Unterlagen zu diesem Objekt. Um eine „Kommandozentrale“ kann es sich hier aber schon auf Grund von Größe und Konstruktion kaum gehandelt haben. Wegen der aus deutscher Sicht überaus ungewöhnlichen, für das Amerika der frühen sechziger Jahre aber scheinbar nicht so seltenen Schutzraum-Konstruktion ist das Bauwerk aber trotzdem höchst interessant - ein Besuch auf Peanut Island lohnt sich also durchaus.

Quellen:
- Report: OPERATION PLUMBBOB, Project 3.3, Evaluation of buried corrugated-steel arch structures and associated components; US Naval Civil Engineering Laboratory, 1958, sowie weitere Reports über Operation Teapot und Operation Plumbbob, US Department of Energy
- US NAVY Fallout and Blast Shelter, Natl. Naval Medical Ctr, Survival trial Study, 1965
- Weigl, Ludwig: Strategische Einsatzplanungen der NATO (Dissertation), Neubiberg 2005
- Vanderbilt, Tom: Survival City: Adventures among the ruins of atomic America, University of Chicago
- Defense’s Nuclear Agancy 1947-1997; US Department of Defense, Washington, DC, 2002
- New Civil Defense Program, 9th Report; Committee on Government Operations, Sept. 1961
- John F. Kennedy Presidential Library; White House Diary und Reference Desk
- Palm Beach Maritime Museum
- The Reading Eagle, 8.10.1961
- The Palm Beach Post, 20.08.1972
- The Lakeland Ledger, 19.10.1987
- Chicago Tribune, 22.08.1993
- Eigene Recherchen

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